Ein einfacher Pinselstrich, ein Farbtupfer auf der Leinwand - Kunst kann eine unglaubliche Kraft haben, um Gefühle auszudrücken und Empowerment zu fördern. Gerade für Kinder, die in benachteiligten Familien aufwachsen, kann ein Kreativworkshop mit therapeutischem Ansatz eine transformative Erfahrung sein, da er ihnen ein Stück Selbstwirksamkeit zurückgibt. In diesem Blogbeitrag möchte ich einen solchen Workshop vorstellen, den ich für eine dritte Klasse der Weidenhof Grundschule angeboten habe. Der Workshop fand an drei Vormittagen im November in den Räumlichkeiten des Bürgerhauses am Schlaatz statt. In ungezwungener, wertschätzender Atmosphäre konnten die Kinder hier für eine Stunde dem Schulalltag entfliehen, um ihre Gefühle zu erkunden und mithilfe kreativer Techniken auszudrücken.
Woche 1: Gefühlsreichtum
Der Workshop begann mit einer Einführung in das Thema Gefühle. Nach einer kurzen Lockerungsübung sammelten wir gemeinsam verschiedene Gefühle. Dabei ermutigte ich die Kinder, ihre eigenen Erfahrungen zu jedem Gefühl zu teilen. Als wir ungefähr 10-15 Gefühle zusammengetragen hatten, machten sich die Kinder daran, mit Gouachefarben einen “Gefühlskreis” zu malen. Jedes Kind malte hierfür einen Kreis auf ein A3 Papier und füllte ihn mit Farbklecksen oder -flächen, die jeweils ein bestimmtes Gefühl repräsentierten. Das Ergebnis waren bunte Gefühlskreise die bei jedem Kind anders aussahen. Ich stellte den Kindern bewusst nur die drei Grundfarben, Schwarz und Weiß für diese Aufgabe zur Verfügung, um sie anzuregen, möglichst eigene Farben zu mischen. Der Gefühlsreichtum sollte mit Farbreichtum gespiegelt werden.
Nach einem kurzen Austausch über das Gemalte, bot ich den Kindern an, ein weiteres Bild mit einem Tier ihrer Wahl zu malen. Die Herausforderung: Das Tier sollte in einer Farbe gemalt werden, die nicht in ihrem Gefühlskreis vorkam. So mussten die Kinder über neue Farb-Gefühl Kombinationen nachdenken. Heraus kamen rosafarbene Katzen, gelb-rote Käfer, türkis-graue Schildkröten und, ja, auch gelbe Pokémon.
Einige Kinder fanden es schwierig, ihre eigenen Farben zu mischen, was dazu führte, dass die Kinder sich spontan gegenseitig einen Grundkurs in Farbenlehre erteilten. Auch die Aufgabe, ein Tier zu malen, stieß bei manchen auf die reflexartige Antwort “Ich kann doch gar nicht malen!” und “Mir fällt aber nichts ein.” Als ich ihnen daraufhin anbot, mit den Fingern und geschlossenen Augen zu malen, um die Aufmerksamkeit vom Ergebnis zum Malprozess zu lenken, war der Bann schnell gebrochen. Nach anfänglichen Berührungsängsten mit der “schmutzigen” Farbe, hatten am Ende mehrere Kinder ihre Hände teilweise oder völlig in Farbe getaucht und ‘schmierten’ fröhlich, was das Zeug hielt. In der kunsttherapeutischen Arbeit hat das 'Schmieren' eine wichtige Funktion. Sie hilft Kindern wie Erwachsenen sich von sozialen Erwartungen und Erziehungsmustern zu befreien, indem sie die Grenzen 'guten Verhaltens' überschreiten. In meinem Workhop nahm es den Kindern vor allem den Leistungsdruck, den die Kinder beim Malen spürten und sie in ihrer kreativen Entfaltung hemmte.
Woche 2: Angst und Mut
In der zweiten Woche konzentrierten wir uns auf zwei bestimmte Gefühle: Angst und Mut. Um die Kinder auf die Arbeit mit diesen nicht ganz einfachen Gefühlen einzustimmen, lud ich sie auf eine kleine Fantasiereise ein. Die Kinder legten sich im Kreis auf Matten, die ich zuvor im Raum ausgelegt hatte und sollten sich nun vorstellen, wie sie in einem Moment der Angst ihrem Krafttier begegnen. Dieses Tier würde ihnen von nun an immer beistehen, wenn sie es riefen. Anschließend brachte jede*r das eigene Krafttier mit Wachs-, Bunt- und Filzstiften aufs Papier. Von einem scherzhaft präsentierten Wurm mit telepathischen Kräften, verschiedenen schlauen Füchsen, einer gepanzerten Schildkröte und einem geflügelten Löwen bis hin zu einer riesigen Schlange die elektrische Blitze spuckte war alles dabei, was in der kindlichen Vorstellungskraft abschreckend, stark oder listig wirkte. Auch ein schützendes Haus fand sich in einigen Bildern.
Am Ende hatte ich noch eine besondere Bitte an die Kinder. Sie sollten für ihre*n Sitznachbar*in ein kleines Kraftsymbol aufmalen, das sie dem Tier mit auf den Weg gaben. So wollte ich den Kindern das Gefühl vermitteln, dass sie nicht allein waren, sondern es immer Freunde, Klassenkamerad*innen, Lehrer*innen und Familie gab, die ihnen in schwierigen Situationen halfen. Mut bedeutete eben nicht, Einzelkämpfer zu sein, sondern sich helfen zu lassen, sei es symbolisch durch ihr eigenes Krafttier, oder durch Menschen in ihrem Umfeld. Viele der Kinder klebten die erhaltenen Geschenke stolz auf ihr Bild, bevor sie es mit nach Hause nahmen.
Woche 3: Collage zu einem selbst gewählten Thema
Zum Abschluss dieses dreiteiligen Kreativworkshops durften die Kinder eine Collage zu einem vorher in der Gruppe erarbeiteten Thema anfertigen. Ich präsentierte den Kindern eine Vielzahl an Zeitschriften, die sie nach Herzenslust zerfleddern und zerschneiden konnten, um daraus ihre ganz eigenen Bilder zu gestalten. Hoch im Kurs waren Themen wie Lieblingsserien oder -spiele, Tiere und schöne Orte oder Erlebnisse. Die Kinder hatten sichtlich Freude am Erstellen ihrer Collage, fanden sie doch ihre Lieblingscharaktere aus Film und Fernsehen, Tiktok oder Spielen in den angebotenen Zeitschriften. Beliebt waren auch Tiere und, aufgrund der nahenden Adventszeit, alles rund ums Thema Weihnachten. Kurz vor Schluss hatte ich noch ein kleines Geschenk, das ich jedem Kind mit auf den Weg geben wollte: ein Ginkgoblatt. Anfang des 19. Jahrhunderts durch ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe bekannt gemacht, wird es hierzulande als Glückssymbol gehandelt. Im asiatischen Raum verkörpert es durch seine zwei Blattspitzen traditionell die Verbindung von Yin und Yang, also von Emotion und Kraft. Als alle Gruppen am Ende des Vormittags wieder im Klassenraum angekommen waren, präsentierten die Kinder stolz ihre Collagen den anderen und ließen sie das Thema erraten.
Ich hoffe, dass die Kinder einige der Strategien ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, die sie in diesem Workshop gelernt haben, in ihren Alltag mitnehmen werden. Auch ich habe viel gelernt. So herausfordernd ich es manchmal fand, eine Gruppe energiegeladener, vorpubertärer Grundschüler*innen dazu zu bringen, sich konzentriert einer sitzenden Tätigkeit zu widmen, habe ich doch viele schöne Erinnerungen und Lernmomente aus diesem Workshop mitgenommen. Vielen Dank also für das große Vertrauen, das mir die Schüler*innen und ihre Klassenlehrerin in diesem Projekt entgegengebracht haben!
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